Wenn am 8. September 2018 der RSV Rotation Greiz nach 15-jähriger Abwesenheit wieder in der höchsten deutschen Ringerliga antritt, werden die Greizer Ringkampfanhänger auch den beliebtesten und erfolgreichsten Sportler der letzten Jahre euphorisch begrüßen.
Martin Obst, der in allen Kämpfen der letzten beiden Jahre ohne Niederlage blieb, wird wieder mit von der Partie sein und für Spitzenringkampf stehen. Er wechselte nach der Saison 2015 und dem Bundesligarückzug des 1.Luckenwalder Sportclub nach Greiz. Die Greizer Zuschauer wissen, was sie an ihrem „Obsti“ haben. Der 1,70 m große Athlet mit dem Normalgewicht von 80 kg ist zwar viermaliger Deutscher Meister, kommt aber ohne Starallüren aus und ist bei allen beliebt. In diesem Jahr errang er seinen größten sportlichen Erfolg. Die deutschen Freistilringer waren in den letzten Jahren nicht mit Erfolgen verwöhnt. Letztmalig 2007 stand ein deutscher Freistiler in einem EM-Finale. Nun durchbrach gerade der Greizer Mannschaftsringer den Bann und erkämpfte sich in der Gewichtsklasse 79 kg die Silbermedaille.
Die Anreise zu den Mannschaftskämpfen der Greizer Mannschaft ist aber nicht gerade kurz. Martin Obst kommt aus dem Berliner Stadtteil Pankow. Dort nicht weit von der nördlichen Stadtgrenze der Hauptstadt zum Land Brandenburg, in Buchholz, wuchs er auf. Heute betreibt er dort zusammen mit seinem Vater Dieter, seinem Bruder Roland und seiner Schwester Stefanie ein Fuhrgeschäft mit 25 Pferden. Bei vielen Festveranstaltungen, Hochzeitsfeiern, touristischen Veranstaltungen oder Junggesellenfahrten wird ein Fuhrwerk des Pferdefuhrbetriebes Obst gemietet. Highlight bei vielen Festen ist die Fahrt mit dem historischen Pferdeomnibus. Die Firma existiert bereits in der fünften Generation. Der Urgroßvater zog 1925 von Wedding nach Buchholz. Die Familie hielt damals auch Kühe und Schweine. „Nach dem zweiten Weltkrieg hat der Urgroßvater mit dem Pferdefuhrwerk Schutt aus dem zerbombten Berlin transportiert“, erinnert sich der mehrfache Meister an Familiengeschichten, die er in seiner Jugend hörte.
Als Martin zehn Jahre alt war, begann der 1986 Geborene zusammen mit Bruder Roland in Berlin-Karow bei der Trainerinstitution Mathias Ringel – Sascha Förster war auch schon dabei – mit dem Ringen. „Als Kinder mussten wir viel arbeiten, da konnten wir nicht immer zum Training gehen“, erinnert sich Martin Obst an seine Kindheit, die sich ein Jugendlicher heute kaum noch vorstellen kann. „Ab der 7. Klasse besuchte ich dann die Sportschule in Hohenschönhausen. Von dem damaligen Training bei Mario Sachs zehre ich noch heute. Als die Berliner Sportschule geschlossen wurde, trainierte ich ab der 9. Klasse in Luckenwalde.“ Nach dem Abschluss der 10. Klasse an der Sportschule erlernte er ebenfalls in Luckenwalde den Beruf eines Tischlers.
Gern erinnert er sich an die beiden Jahre bei der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Grundlage der Berufung waren seine Leistungen durch das heimische Training bei Luftfahrt Berlin unter Trainer Swen Lieberamm. „Ich fuhr jede Woche mit dem Zug von Berlin nach Schifferstadt in der Pfalz. Damals konnte ich mich voll auf meinen Sport konzentrieren. Bei der Militärweltmeisterschaft 2010 belegte ich Rang fünf. Nach der Bundeswehr stieg ich 2012 in das väterliche Geschäft ein. Und dabei ist es bis heute geblieben.“
Die großen Erfolge kamen erst zum Schluss
Martin Obst war ein „Spätzünder“. Zu DDR-Zeiten galt unter Spitzensportfunktionären die Regel, wer im Jugendbereich nicht vorn landet, schafft es im Erwachsenenalter auch nicht. Der Berliner ist das genaue Gegenbeispiel. Bei den Meisterschaften der C-, B- und A-Jugend war ein siebenter Platz das beste Resultat. Bei den deutschen A-Jugendmeisterschaften 2004 war er für die 58 kg-Klasse vorgesehen, schaffte das Gewicht nicht, startete im 63 kg-Limit. Meister wurde sein Freund und Trainingspartner in Luckenwalde, Felix Menzel. Martin landete auf Rang acht. Bei den Junioren war er mit Platz vier schon sehr nahe an den Medaillen. Ein Sportler aus der Trainingsgruppe in Luckenwalde erinnert sich an diese Zeit: „Martin hat immer vorbildlich trainiert. Bei den Meisterschaften standen aber immer andere auf den Treppchen. Die Trainer, die Medaillen nachweisen mussten, setzten auf andere Sportler. Langsam aber sicher wurde er aber immer besser.“ Mit 22 Jahren, im Jahr 2008, gelang der Gewinn der ersten Meisterschaftsmedaille. Es war eine silberne. Er unterlag dem mit dem Ziel des Gewinns internationaler Medaillen für den DRB eingebürgerten Ukrainer Andriy Shyyka. Doch schon 2009 war der Meistertitel greifbar. Im Halbfinale führte er bis drei Sekunden vor Schluss gegen Shyyka, unterlag aber noch und wurde nur Dritter. Auf den ersten Meistertitel musste er noch bis 2011 warten. In den Jahren 2015, 2016 und 2017 wurde er dann dreimal in Folge Meister. Er vertrat Deutschland bei Welt- und Europameisterschaften und der Olympiaqualifikation für Rio de Janeiro
Martin Obst war erfolgreichster deutscher Ringer bei der EM 2018
In diesem Jahr dann der aufsehenerregende Erfolg bei den Europameisterschaften. Martin Obst erkämpfte sich mit drei Siegen in der Gewichtsklasse 79 kg die Finalteilnahme. Gegner am Samstagabend war der Lokalmatador Akmed Gadzhimagomedov, der im Vorjahr bereits EM-Bronze errungen hatte. Damals schied Obst ohne Sieg aus. Beide Kontrahenten verband einiges. Martin Obst gewann seinen ersten deutschen Meistertitel bei den Männern, als er bereits 24 Jahre alt war, in allen Jugendklassen und bei den Junioren war er medaillenlos geblieben. Als viele Gleichaltrige schon ihre Ringerschuhe an den Nagel gehängt hatten, etablierte er sich als Stammkraft der Nationalmannschaft. Mit 28 Jahren startete er erstmals bei einer Weltmeisterschaft. Trotz guter Leistungen blieben die ganz großen internationalen Erfolge aus, z.B. bei der WM in Las Vegas (USA) und in noch stärkerem Maße bei der Olympiaqualifikation im serbischen Zrenjanin, als ihn eine 7:8 Niederlage den Weg nach Rio de Janeiro verbaute. Auch der 28-jährige Gadzhimagomedov stand im Vorjahr zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft auf der Matte. Für beide Sportler war das EM-Finale also der Höhepunkt ihrer Karriere. Die Favoritenrolle nahm dabei der Vertreter der Gastgeber ein. Die russischen Freistilringer, deren Spitzenkönner fast alle aus dem Kaukasus stammen, können aus einem riesigen Reservoir von Talenten schöpfen und gewinnen regelmäßig die Länderwertung. Drei Freistilfinals wurden am Samstagabend ausgetragen, fünfmal standen russische Ringer im Finale um Gold. Überraschenderweise unterlagen die favorisierten Russen in den Gewichtsklassen 57 und 65 kg.
Martin Obst war mental und physisch sehr gut in Form, war in allen Kämpfen konditionell klar überlegen. Sein Kampfplan sah einen starken Endspurt vor. Zu Anfang dominierte allerdings der Russe, der aus Dagestan stammt und von seinen Landsleuten in der ausverkauften Wettkampfstätte – 15 km von der dagestanischen Hauptstadt Machatschkala entfernt – frenetisch angefeuert wurde. Zweimal musste der viermalige Deutsche Meister in den ersten 90 Minuten nach Beinangriffen seines Gegners die Matte verlassen. Der Russe bestimmte zwar das Geschehen auf der Matte, besonders der Beinangriff, der zum 2:0 führte war eine ganz starke Leistung, da es vorher den Anschein hatte, Obst könne ihn am Kopf schnürend neutralisieren. Umso mehr überraschte die zweite Verwarnung – diesmal wegen Fingerfassens, der Russe hatte allerdings ebenso gegriffen – die schon nach zwei Minuten das 3:0 brachte. Als neutraler Beobachter der im Internet zu sehenden Kämpfe konnte man nicht umhin kommen festzustellen, dass die internationalen Kampfrichter nicht immer neutral leiteten. Zwar schien die Vergabe der technischen Punkte regelgetreu erfolgt zu sein, mehrere passive gestaltete Kampfabschnitte der Gastgeber „vergaß“ man allerdings mehrfach nach der 30 Sekundenregel zu sanktionieren. Die Bestrafung von Martin Obst mit zwei Verwarnungen nach nur 120 Sekunden kann nur verwundern, da Verwarnungen – in Kaspisk mit einem kleinen gelben Rechteck auf der Anzeigetafel sichtbar gemacht – bei der gesamten Veranstaltung kaum zur Anwendung kamen.
Nach der Pause fiel die Entscheidung, als Martin Obst zwar einen doppelten Beinangriff geschickt abwehren konnte, doch dann bei einer eigenen Angriffsaktion gekontert wurde und das 0:5 einstecken musste. Der Russe ließ jetzt merklich nach, Obst hatte das Pech, als er ihn von der Matte drängen wollte und nur noch Zentimeter fehlten, selbst ins Aus zu treten und dadurch den sechsten Punkt abzugeben. Die letzten 90 Sekunden gehörten eindeutig dem Greizer Publikumsliebling, der nun, wie in der Greizer Ringerhalle üblich, auch im EM-Finale seinen Gegner vor sich hertrieb. Der Dagestaner verzichtete auf jede Vorwärtsbewegung, suchte sein Heil in der Verteidigung. Man kann sich wohl den Hinweis sparen, dass nun eine 30-Sekunden-Strafe angebracht gewesen wäre, die natürlich nicht ausgesprochen wurde. Der konditionsstärkere 31-Jährige konnte zwar durch ein Hinausdrängen des Gegners und eine Beherrschung am Boden auf 3:6 verkürzen, der Sieg ging allerdings an einem sichtlich erschöpften Ringer der Gastgeber.
Martin Obst errang mit dem zweiten Platz bei den Europameisterschaften nicht nur seinen bisher größten Erfolg, sondern war auch der erfolgreichste deutsche Athlet in Russland. Seine drei Vorrundenkämpfe hatte er gegen den Moldawier Alexandru Bucur (7:0), den Esten Jevgeni Soltruk (10:0 mit technischer Überlegenheit) und dem späteren EM-Dritten Mihaly Nagy aus Ungarn (2:0) für sich entschieden, ohne einen Punkt abzugeben. Es spricht für den Charakter dieses untadeligen Sportlers, der nie aufgegeben hat und unter ungleich schlechteren Trainingsbedingungen als die osteuropäischen Profis oder dem Teil seiner Mannschaftskameraden, der bei der Bundeswehr angestellt ist, eine hervorragende sportliche Leistung bringt, dass er sich im ersten Telefonat vom Schwarzen Meer bei seinen Trainingspartnern in Berlin und Luckenwalde und den Sportfreunden in Greiz für die Unterstützung bedankte.
Beim Sport liegen Sieg und Niederlage nicht weit auseinander. Sieben Wochen nach seinem größten sportlichen Erfolg konnte Martin Obst seinen deutschen Meistertitel nicht verteidigen. 34 Sekunden vor Schluss führte er beim 1:1 gegen den späteren Meister Benjamin Sezgin aus Aalen. Doch da erhielt er eine Passivitätsverwarnung, musste im Duell zweier gleichwertiger Gegner jetzt mindestens einen Punkt erzielen. Die unter Zeitnot erfolge Angriffsaktion misslang, wurde gekontert und der Titelverteidiger unterlag entscheidend und musste sich am Ende mit der Bronzemedaille begnügen.
Beim Saisonauftakt der 1. Bundesliga am 8. September gegen den TSV Westendorf wird es trotzdem in der dann vielleicht mit 1.000 Zuschauern gefüllten Halle einen rauschenden Empfang geben.
Fragen an Martin Obst:
Wie sieht Dein wöchentliches Trainingsprogramm aus?
Martin Obst: Ich habe auch in diesem Jahr mehr Stunden auf unserem Hof mit den Pferden als in der Trainingshalle verbracht. Da bin ich den ganzen Tag gefordert und in Bewegung.
Zweimal in der Woche trainiere ich bei Luftfahrt Berlin und einmal beim Stützpunkt in Luckenwalde. Meine Trainingspartner in Berlin sind Daniel Sartakov, Adam Daraev und Doa Küksar. In Luckenwalde sind es Felix Menzel, Lennard Wickel, Michel Schneider und die dort trainierenden Sportschüler.
Wie sah die Vorbereitung bei der Nationalmannschaft aus?
Martin Obst: Mit der Nationalmannschaft habe ich die Turniere in Cuba und Polen besucht. In Cuba hat mich eine Mandelentzündung erwischt und ich musste schon nach einer Woche früher aus der Karibik abreisen. Ansonsten wurde ein 5-tägiger Trainingslehrgang direkt im Anschluss an das internationale Turnier in Bialogard in Polen zusammen mit der polnischen Nationalmannschaft absolviert. Dazwischen habe ich mein ganz normales Trainingspensum in Berlin und Luckenwalde absolviert.
Wer waren hier die Trainer?
Martin Obst: Freistil- Bundestrainer Jürgen Scheibe und Assistent Behcet Selimoglu.
Wie sieht der weitere Fahrplan Richtung Weltmeisterschaften aus?
Martin Obst: Im August findet ein anderthalbwöchiger Intensivlehrgang in Saarbrücken statt, wo auch Team- und Trainingspartner Daniel Sartakov mit teilnimmt. Danach folgt ein international hochwertiges Turnier in Russland als Härtetest. In Leipzig findet die übliche Leistungsdiagnostik statt.
Schade ist natürlich, dass der Große Preis von Deutschland im Freistil abgesagt worden ist, so fehlt mir leider noch ein Turnier als Vorbereitung.
Wie läuft es mit dem heimischen Fuhrgeschäft in Berlin ?
Martin Obst: Es läuft alles ganz super. Das bedeutet aber auch, dass ich sehr viel zu tun und kaum Freizeit habe. Im Sommer haben wir den Saisonhöhepunkt, da ist jede Minute verplant.
Hast du eine persönliche Mitteilung an die Ringkampfinteressierten in Greiz?
Martin Obst: Ich freue mich auf die neue Saison, insbesondere auch auf die tolle Stimmung in Greiz und die vielen Fans. Ich werde getreu meines Mottos ,,Kämpfen bis zum Schluss’’ wieder alles geben, um den Erfolg der Mannschaft auch in der Bundesliga zu sichern, obwohl es in diesem Jahr entschieden schwieriger wird. Insbesondere den jungen Sportlern möchte ich sagen: Fleiß zahlt sich aus! Auch wenn nicht immer alles gleich funktioniert, sollte man die alten Tugenden wie Kampfgeist und Siegeswillen nicht frühzeitig aufgeben. Im Nachwuchsbereich war mein einziger Erfolg eine Holzmedaille (4.Platz), da hätte keiner geglaubt, dass ich mal bei der Europameisterschaft eine Medaille gewinnen.
Erhard Schmelzer @05.09.2018
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