Ahmet Bilici Ahmet Bilici mi zweitem Platz bei der türkischen Meisterschaft Dezember 2021. Foto: Ahmet Bilici

Silbermedaille bei nationaler Meisterschaft

Sein Saisonziel hat er nicht erreicht. Trotzdem ist Ahmet Bilici der Liebling der Greizer Ringkampfanhänger und der erfolgreichste Freistilringer im Team. Von Frank Stäbler, dem erfolgreichsten deutsche Ringer des letzten Jahrzehntes, wird behauptet, er wäre in drei Gewichtsklassen Weltmeister geworden. Das stimmt zwar, allerdings wurde die 71 kg-Klasse nach der Saison 2017 nur um ein Kilogramm erhöht. So kämpfte er 2015 in Las Vegas in der 66 kg-Kategorie, 2017 in Paris in der 71 kg-Klasse und 2018 in Budapest im 72 kg-Limit und wurde jeweils Weltmeister. Eine phantastische Leistung, drei verschiedene Gewichtsklassen waren es aber eher nicht.
Ahmet Bilici war nie Weltmeister, kämpfte allerdings in der Saison 2021/22 wirklich in drei verschiedenen Gewichtsklassen in der Bundesliga für den Greizer Ringerverein. Das war auch wohl der Grund, dass er sein Saisonziel nicht erreichte, welches kurz und bündig lautet: Alle Kämpfe gewinnen! Der Neuzugang, der zusammen mit Ergün Aydin vom SV Siegfried Hallbergmoos zum RSV Rotation Greiz stieß, absolvierte sieben von zehn Kämpfen und siegte dabei fünf mal. Herausragend dabei sein 16:0 Sieg gegen den starken Markneukirchener Partyk Dublinowski in der 86 kg-Klasse in nicht einmal einer Minute. Eine Woche zuvor hatte Ahmet Bilici zwei Gewichtsklassen höher kämpfend gegen den für Hösbach ringenden Iraner Mohsen Siyar eine 0:7 Niederlage einstecken müssen. Der 21 Kilogramm schwerere Iraner wurde hinterher in der Aschaffenburger Presse dafür kritisiert, nicht den wichtigen achten Punkt geschafft zu haben, der den in Greiz unterlegenen Hösbachern zu Beginn des Mannschaftskampfes den wichtigen dritten Mannschaftspunkt gebracht hätte. Man kann diesen Kampf aber auch anders beurteilen. Bilici traf erstmals auf den Iraner. Er versuchte in der ersten Hälfte seinen Widersacher durch schnelle Beinangriffe zu überraschen. Dabei scheiterte er zweimal ganz knapp, der Gegner führte nach gut einer Minute so schon 5:0. Jetzt stellte der Greizer seine Kampfkonzeption um, so dass der physisch überlegene Gegner in den folgenden fast fünf Minuten nur noch zu zwei Punkten kam. Eine technische und körperliche Meisterleistung des David gegen den Goliath.
Bei den türkischen Meisterschaften kurz vor Weihachten waren die Verhältnisse ausgeglichener, Bilici kämpfte in der 92 kg-Klasse. Bei den letzten deutschen Meisterschaften starteten in dieser Gewichtsklasse ganze zehn Sportler, bei den türkischen Meisterschaften in Kahranmaras im südlichen Anatolien waren es allein in dieser Gewichtsklasse 44 Ringer. Bilici benötigte vier Punktsiege um ins Finale einzuziehen, dabei musste er unter anderen einen ehemaligen Junioren-Europameister und den Fünften der Junioren-WM dieses Jahres bezwingen. Den späteren Meisterschafts-Dritten besiegte er mit 5:0, den Fünften mit 7:0 Im Finale traf er dann auf den Junioren-Europameister von 2019 in der 97 kg-Klasse und unterlag mit 2:13. Trotzdem war der Gewinn der Silbermedaille eine Superleistung.
Die unterschiedlichen Teilnehmerzahlen an den Landesmeisterschaften spiegeln den Stellenwert der Sportart in den jeweiligen Ländern wieder. Auch in der Türkei kann der Ringkampfsport mit dem Fußball nicht konkurrieren. Anders als in Deutschland wird der Ringkampfsport dort aber auf großer Breite gefördert, wie Bilici am eigenen Leibe erfahren hat: „Ich bin in Erzurum, in Ostanatolien aufgewachsen. Mit elf Jahren habe ich dort mit dem Ringen begonnen. Als ich mit 15 Jahren türkischer Vizemeister wurde, nahm ich ein Angebot des Spitzenvereins Tedas Ankara an und konnte dort zweimal täglich trainieren.“ Anders als in Deutschland, wo nur etwas mehr als 20 Ringer bei der Bundeswehr (in drei Stilarten) und außerdem noch Ringerinnen und Ringer in einigen Bundesländern bei den jeweiligen Sportgruppen der Polizei professionell trainieren können, bieten in der Türkei zahlreiche von den Kommunen oder von Sponsoren unterstützte Vereine professionelle Trainingsbedingungen an. „Bei meinem alten Verein Tedas Ankara, der von einem Elektrizitätswerk finanziert wird, und für den ich auch jetzt bei der türkischen Meisterschaft startete, trainieren zur Zeit ungefähr 60 Ringer. Die meisten sind Kadetten und Junioren, auf die der Verein jetzt verstärkt setzt. Bei den türkischen Meisterschaften starteten wir mit 31 Teilnehmern. Seit einem Jahr besitzt der Verein einen neuen Sportkomplex nur für das Ringen mit Sporthalle, Hotel, Restaurant und Sauna. Die Sportler werden bezahlt, Unterkunft und Verpflegung sind frei.
In Deutschland sieht es beim Ringkampfsport etwas anders aus. Seit 2012 habe ich für Hallbergmoos in der Bundesliga gekämpft. Seit September 2020 wohne ich mit meiner Familie in Hallbergmoos, im Haus des Ringer-Präsidenten, dessen Schwester ich geheiratet habe, und trainiere hier. Ich glaube also, dass ich objektive Vergleiche ziehen kann. Die Sportler trainieren in Deutschland in ihrer Mehrzahl nach ihrer Arbeit, die Vereine werden ehrenamtlich geführt und die gesamte Vereinsarbeit muss am Abend oder am Wochenende organisiert werden.“
Der 34-jährige Ahmet Bilici hat während seiner sportlichen Laufbahn 15 Medaillen bei den türkischen Meisterschaften errungen, zeitgleich hat er seinen Masterabschluss gemacht und seit 2019 als Sportlehrer gearbeitet. Sein größter sportlicher Erfolg war der Sieg bei den Mittelmeer-Spielen in Spanien 2018.
Eine Besonderheit seiner sportlichen Laufbahn darf nicht unerwähnt bleiben. In der Türkei gibt es mehr als zehn verschiedene nationale Ringkampfarten. Zwei sind besonders populär: das Ölringen und das Karakucak-Ringen. Beide Sportarten finden auf Rasenflächen statt. Die Karakucak-Regeln kommen denen bei Olympia im freien Stil sehr nahe. Oftmals ähneln die Veranstaltungen Volksfesten mit bis zu 10 000 Zuschauern. Ahmet Bilici konnte dabei mehrmals im Halbschwergewicht gewinnen, letztmalig gelang ihm das 2018.
Der Neuzugang aus Hallbergmoos ist nicht nur auf Grund seiner sportlichen Leistungen sondern auch wegen seines kameradschaftlichen Auftretens und seiner Freundlichkeit im Umgang mit Zuschauern und Vereinsangehörigen schon nach kurzer Zeit zu einem Publikumsliebling in Greiz geworden. Am Sonnabend, dem 8.Januar, beim Achtelfinalkampf um die deutsche Mannschaftsmeisterschaft gegen den südbadischen Vertreter ASV Urloffen in der Greizer Sporthalle An der Eisbahn dürfte er wieder zu den Protagonisten im Greizer Team gehören.

Erhard Schmelzer