Bei den Olympischen Spielen wurde rund ein halbes Jahrhundert in beiden Stilarten in zehn Gewichtsklassen gekämpft. Im Olympiajahr fanden keine Weltmeisterschaften statt. Ab dem Jahre 2000 bei Olympia in Sydney wurden erstmals vier Gewichtsklassen für Frauen eingeführt. Die Männer kämpften nun nur noch um jeweils acht Goldmedaillen. Das waren dem IOC nun doch zu viele Ringkampfmedaillen. In Athen, Peking und London wurden nur noch je sieben Männergewichtsklassen ausgekämpft. Doch der Kampf um die Gleichberechtigung war noch nicht beendet. Seit 2016 in Rio de Janeiro kommen jeweils bei Frauen und bei Männern im freien und griechisch-römischen Stil je sechs Gewichtsklassen zur Austragung. Da nun fast die Hälfte der Ringer zwangsläufig bei der Olympiade zuschaut, beschloss der internationale Verband im Olympiajahr in den bei Olympia nicht berücksichtigten Gewichtsklassen separate Weltmeisterschaften auszutragen.
Austragungsort in diesem Jahr war die albanische Hauptstadt Tirana. In den Balkanstaaten finden seit der Inthronisierung des Serben Nenad Lalovic als Präsident des Internationalen Ringerverbandes UWW 2013 überdurchschnittlich viele Ringkampfveranstaltungen statt. Gleichzeitig stieg die Prozentzahl der in den Balkanstaaten eingebürgerten ausländischen Ringer, die meist aus dem russischen Kaukasusgebieten kommen, sprunghaft an. Nach offiziellen Verlautbarungen des Deutschen Ringer-Bundes ist Deutschland aus finanziellen Gründen nicht in der Lage eine Ringerweltmeisterschaft auszurichten. Nur 1955 fand die WM in Karlsruhe statt. So viel zur Problematik: Wir sind ein reiches Land!
Vom 28.bis 31.Oktober 2024 war nun wiedereinmal Tirana für eine WM an der Reihe. Im freien Stil kamen die Gewichtsklassen 61, 70, 79 und 92 kg zur Austragung. Nach dem Ausfall von Horst Lehr (Ludwigshafen) und dem in der Vorbereitung am Außenband verletzten Niklas Stechele (Westendorf) konnte die 61 kg Klasse von Deutschland nicht besetzt werden. In der 70 kg-Klasse startete der eingebürgerte US-Amerikaner Andre Clarke (Lichtenfels), der im Vorjahr mit dem Ziel eingebürgert wurde für Deutschland die Olympiaqualifikation zu erkämpfen. Ein Ziel welches nicht erreicht wurde. Mit seinem neuen Team Lichtenfels kämpfte Clarke in der Saison 2023 in der Bundesliga gegen Greiz. In Tirana unterlag Clarke den russischen U23- Welt- und Europameister Inalbek Sheriev vorzeitig 0:11. Der Freiburger Lars Schäfle (92 kg/29 Starter) hatte nach einem Sieg über den Litauer Domantas Pauliuscenko und einem 2:2 über den seit 2019 für Bulgarien kämpfenden Ahmed Magamaev das schwerste Los erwischt, konnte sich aber nach seiner Niederlage gegen den russischen Superstar Abdulrashid Sadulaev beruhigt die weiteren Kämpfe ansehen. Der kaukasische Welt-und Europameister sowie Olympiasieger von Tokio erreichte wie erwartet ungefährdet das Finale. Nachdem Rußland bei den Olympischen Spielen erst nicht mit vollständiger Mannschaft starten durften, dann von sich aus alle Ringer von Olympia zurückzog, entschloss sich Sadulaev erstmals seit 2018 wieder in der 92 kg-Klasse zu kämpfen. Den Olympiasieg und die meisten weiteren Erfolge erkämpfte er in der 97 kg-Kategorie. Schäfle kann sich am Donnerstag so noch für den Kampf um Bronze qualifizieren.
Lucas Kahnt erstmals bei der Männer -WM
Anreise mit Hindernissen
Der zweimalige deutsche Meister Lucas Kahnt vom RSV Rotation Greiz startete erstmals bei den Männern bei einer Weltmeisterschaft. In den Jahren zuvor vertrat er Deutschland bereits in der Altersklasse U23, konnte dabei aber weder bei EM noch WM in den vorderen Platzbereich vordringen. Im Jahre 2024 schien sich seine Form nach Trainingslagern in Japan und Spanien zu verbessern. Nachdem er seinen deutschen Meistertitel verteidigt konnte, erkämpfte er den dritten Platz beim Grand Prix in Spanien. Nach Trainingslagern im Saarland und in Leipzig nahm er, durch seinen Trainer Zsombor Gulyas im Stützpunkt Leipzig optimal vorbereitet, neben seiner Tätigkeit als Steinmetz in der väterlichen Firma in Greiz sein Hauptziel des Jahre ins Visier: die Weltmeisterschaft in der 79 kg-Klasse des freien Stils in Tirana.
Jeder erfahrene Ringer weiß. Das wichtigste ist, gesund und mit dem richtigen Gewicht zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zum Wiegen zu erscheinen (Die Problematik Wettkampfunterlagen lassen wir mal der Einfachheit halber weg). Das Wiegen war am Wettkampftag (Dienstag, den 30.Oktober) um 8 Uhr in der Wettkampfhalle. Klingt simpel. Aber…
Der Deutsche Ringer-Bund arbeitet mit der Lufthansa zusammen. Also Treffen des gesamten Teams am Flughafen Frankfurt und gemeinsamer Flug nach Tirana. Geplante Ankunft am frühen Nachmittag des Tages vor dem Wiegen. Lukas Kahnt hatte zur Anreise einen Flug von Leipzig nach Frankfurt gebucht. Obwohl von Klimaaktivisten nichts bekannt ist, landete die Maschine aus Leipzig 45 Minuten zu spät in Frankfurt. Der Anschlussflug war weg!
Erstes Problem: Bis zum Wiegen irgendwie nach Tirana kommen. Allein auf sich gestellt, aber durch die Arbeit und die Trainingsplanung an eigenständiges Organisieren gewöhnt, gelang es ihm nach 8-stündiger Wartezeit einen Flug zu organisieren. Ankunft in Albanien: 0:30 Uhr am Wettkampftag.
Zweites Problem: Früh um 8 Uhr musste das Gewicht von 79 kg erreicht sein. Jeder Ringer hat seinen individuellen Plan, wie er da vorgeht. Die letzten Gramm hatte Lukas geplant am Montag nach der Ankunft um 15 Uhr in Albanien zu verbrennen. Da saß er aber noch auf den Flughafen in Frankfurt. Also schnell ein Fitnessstudio in der Nähe gesucht, hingefahren, trainiert, gewogen und zurück zum Flughafen. Zum Glück lief von da ab alles nach Plan. 0:30 Uhr war er in Albanien. Seine Mannschaftskameraden vom RSV aus Rumänien und Moldawien waren übrigens bereits seit Sonntag in Tirana. Der internationale Verband kassiert für jeden Tag ein nicht unwesentliches Sümmchen fürs Hotel. Die einen haben es , die anderen nicht. Wie war der Spruch mit dem reichen Land?
Die Greizer Schlachtenbummler und Helfer, Bruder Maximilian und Christian „Lippi“ Lippert, waren übrigens ohne Probleme direkt von Leipzig zur Austragungsstätte gelangt.
Nur international erfahrene und erfolgreiche Gegner für Kahnt
In der 79 kg-Klasse waren 33 Sportler zum Wiegen erschienen. Der erste Gegner Ahmad Magomedov startete für Nordmazedonien. Das alte Jugoslawien war eigentlich eine Nation, die den griechisch-römischen Stil bevorzugte. Aber Mazedonien war schon damals für den freien Stil zuständig. Der Mazedonier, dessen familiäre Wurzeln in Dagestan liegen dürften, gewann im Vorjahr bei der Europameisterschaft die Bronzemedaille. Ähnlich verhielt es sich mit dem für den 2019 für Greiz kämpfenden Magomedgadzi Nurov, der ebenfalls für Mazedonien kämpfte und aus Dagestan kam und nach eigener Aussage auch ständig dort lebte und trainierte. Lucas Kahnt ließ sich davon nicht einschüchtern, ging durch größere Aktivität in Führung und baute seinen Vorsprung bis zum Ende auf 5:2 aus. Nächster Gegner war der Kirgise Arsalan Budazhapov, der genauso in der Burjatischen Republik, die in Rußland, nördlich von der Mongolei liegt, geboren wurde, wie der Greizer Bundesligaringer von 2021 Zhargal Damdinov. Wieder ging Lucas durch die größere Aktivität 1:0 in Führung. Der Neu-Kirgise, seit 2020 Staatsbürger des mittelasiatischen Landes, Asienmeister von 2020 und WM-Dritter von 2022 war ein starker Widersacher, der zweimal das Bein des Greizers erwischte, der sich aber gut verteidigte und die Angriffe abwehren konnte. Am Ende hieß es 5:1 für Kahnt. Im Viertelfinale hieß der Gegner Akhsarbek Gulaev und kam aus der Slowakei, für die er 2021 die Europameisterschaft gewann. Gulaev wird von Rodion Kertanti trainiert, der 1996 als EM-Zweiter die Greizer Ringerlegende Victor Peikov auf den vierten Platz verwies. Auch Gulaev Heimat ist der russische Kaukasus. Gegen ihn geriet Lucas Kahnt erstmals in Rückstand, als er am Mattenrand eine „Zwei“ abgab. Wie bei einem Ringerturnier vorgegeben, werden die Zeitabstände von Runde zu Runde kürzer. Der Slowake hatte einen gewissen Vorteil weil sein erster Gegner, ein Italiener, nicht angetreten war, es für ihn also erst der zweite Kampf war. Der Greizer kämpfte bis zum Schluss, konnte das Blatt aber nicht mehr wenden und schied mit 1:2 Punkten aus, da sein Bezwinger im Halbfinale unterlag. Die genaue Platzierung des Greizers liegt noch nicht fest. Der Greizer hat aber eine überaus starke Leistung gezeigt und bewiesen, dass er auch mit international erfahrenen und erfolgreichen Sportlern mithalten kann.
Man kann aus Sicht von Lucas Kahnt den Tag kurz zusammenfassen, Greiz – Rußland: 2:1
Kovacs raus-Grahmez noch im Rennen
Von den anderen Greizer Bundesligaringern stand dem Rumänen Razvan Kovacs (61 kg/23 Starter) das Losglück auch nicht zur Seite. Er traf auf den Neu-Serben, dem Kaukasus stammenden Azamat Tuskaev, der vor drei Jahren noch für den Zentralen Sportklub der russischen Armee in Moskau Europameister und Militärweltmeister wurde und unterlag 0:11. Da der Serbe das Finale nicht erreichte sondern nur um Platz 3 und 5 kämpft, war die WM für Kovacs beendet.
Der Moldawier Nicolai Grahmez (70 kg/25 Starter) begann mit einer 2:14 Niederlage gegen den Kasachen Nurkozha Kaipanov, dem Zweiten der Asienmeisterschaften von 2022, der etwas überraschend auch alle weiteren Gegner bezwang und am Donnerstag um Gold kämpft. Grahmez erreichte damit die Hoffnungsrunde und trifft dort im ersten Kampf auf Mitchell Feinsilver. Feinsilver startet für Israel wurde aber in einer Highschool in Colorado und der bekannten Duke Universität von North Carolina ausgebildet.
Erhard Schmelzer